MARKENKONZEPTE
Vom Konzeptentwickler der MarkenPavillons und der Marke Autostadt
Martin, die Autostadt feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen und du dein 40-jähriges Dienstjubiläum. Wann hast du die MarkenPavillons entwickelt und wie kam es dazu ?
Die Idee ist 1996 entstanden und hat eine Vorgeschichte. Für den VW Polo hatte ich zur Markteinführung in 1994 das Baukasten-System entwickelt. Die Werbefigur für diesen einzigartigen Angebotsbaukasten war der Polo Harlekin.
POLO HARLEKIN
Im Laufe dieser Konzeptarbeit auf Produktebene wurde mir klar, dass die Produkte vom Markenkonzept geprägt werden und über die Zeit an Wert verlieren. Die Marke dagegen gewinnt an Wert, mit jedem erfolgreichen Produkt. Daher wechselte ich ins Konzern Marketing und entwickelte bis 1996 die erste Mehrmarken-Strategie für den Volkswagen Konzern.
Meine Vision war, die Konzernmarken im dreidimensionalen Raum begehbar und emotional erlebbar zu machen. Die Chance zur Realisierung dieser Vision erhielt ich noch im gleichen Jahr mit dem Projekt Expo 2000. Der damalige Konzern Vorstandschef Prof. Dr. Ferdinand Piech hatte den Auftrag gegeben, zur Expo 2000 in Hannover ein Auslieferungszentrum für die Marke VW in Wolfsburg zu bauen - nach dem Vorbild von Audi in Ingolstadt.
Prof. Piech war von der Idee der MarkenPavillons, als Ergänzung zum Auslieferungszentrum, spontan begeistert und hat mich mit der Umsetzung beauftragt. Später konnte ich Prof. Piech von der Gründung der Marke Autostadt überzeugen.
Mit den MarkenPavillons wurde aus dem VW Markenprojekt Expo 2000 ein Konzernprojekt richtig ?
Ja. Das grundsätzliche Ziel aller marktwirtschaftlichen Unternehmen ist, ein rentables Verhältnis von Umsatz / Kosten zu erreichen. Insofern handelt es sich genau genommen um zwei Ziele: Umsatz und Kosten. D.h. für jedes der beiden Ziele sollten wettbewerbsüberlegene Strategien entwickelt werden. Rendite kann kein Ziel sein, weil es eine "Verhältniszahl" aus Umsatz und operativem Ergebnis (Kosten) ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Umsatz und Kosten keine statischen, sondern dynamische Ziele sind.
Um die Umsatz-Ziele zu erreichen, gibt es unterschiedliche Strategien. Der Volkswagen Konzern hatte sich mit der Übernahme der Marken Audi, Seat, Bentley, Lamborghini und Skoda schon früh für eine Mehrmarken-Strategie entschieden. Prof. Piech wollte den Konzern im Sinne dieser Strategie zu einem globalen Mobilitätsanbieter weiterentwickeln. Auf der Markenebene sollte der Konzern alle Preispositionierungen abdecken, d.h. Budget, Volumen, Premium und Luxus. Auf der Produktebene Motorräder, Pkw, leichte Nutzfahrzeuge und schwere Nutzfahrzeuge.
Um die Kosten-Ziele zu erreichen , gibt es ebenfalls unterschiedliche Strategien. Prof. Piech hatte sich für eine globale Gleichteile-Strategie entschieden, die später zur Plattform- und Baukasten-Strategie weiterentwickelt wurde. Aus einem effizienten Technologie-Baukasten entstehen dabei möglichst wenige Plattformvarianten, auf die dann möglichst viele Modelle möglichst vieler Marken "aufgesetzt" werden.
Das aus dem Markenprojekt Expo 2000 entwickelte Konzernprojekt, sollte die Mehrmarken-Strategie und die Gleichteile-Strategie für alle Konzern-Mitarbeiter und eine breite Öffentlichkeit sichtbar und erlebbar machen. Dafür hatte ich das Markenkonzept "Autostadt" entwickelt.
Was waren die wichtigsten Inhalte deines Markenkonzepts und wie bist du auf den Markennamen Autostadt gekommen ?
Das hat sehr viel mit meiner Vergangenheit zu tun. Ich habe in Hamburg Ingenieurwesen bzw. Fahrzeugtechnik studiert. Das Ingenieurwesen basiert auf den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Ziel des In-genie-urwesens ist nach meiner Definition, daß Genie der Natur zu verstehen und für die Menschheit nutzbar zu machen. Die Natur wiederum ist das Spiel der Gegensätze: Tag vs. Nacht, Himmel vs. Erde, Sommer vs. Winter usw. In den Jahrmillionen ihrer Evolution hat die Natur immer wieder Gegensätze überwunden und dadurch faszinierend Neues erschaffen. Aus den Gegensätzen selbst entsteht dabei die Energie, die zu ihrer Überwindung notwendig ist. Ein geniales System! Es hat dazu geführt, daß die Natur zur Entstehung ihrer "Produkte" keine Ressourcen und Energie verschwendet, im "Lifecycle" keine Schadstoffe emittiert und am Ende des Lifecycles alle Wertstoffe im "Cycle of Life" wiederverwertet. Wir nennen das heute Kreislaufwirtschaft.
Wir Menschen sind Teil der Natur. D.h. für uns gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten. Unsere Wahrnehmung der Umwelt ist daher relativ, nicht absolut. D.h. um zu wissen, ob es Tag oder Nacht ist, müssen wir den Gegensatz kennen. Auch unsere Emotionen brauchen zur Einordnung die Gegensätze (Liebe vs. Hass).
FASZINEERING
Die größte Faszination bzw. Anziehungskraft haben Marken und Produkte, die scheinbare Gegensätze überwinden. Anders als in der Natur, müssen Marken / Produkte darüber hinaus aber noch relevant sein, bzw. einen Kundennutzen besitzen und vertrauenswürdig (authentisch) sein. Das Spiel der Gegensätze gilt auch für die Grundsätze der marktwirtschaftlichen Betriebswirtschaft. Wie bereits beschrieben ist Rendite das Ergebnis aus dem Gegensatz Umsatz vs. Kosten. Der größte Umsatztreiber ist FASZINATION (Anziehungskraft durch relevanten Kundennutzen). Die niedrigsten Kosten entstehen durch ein an der Effizienz der Natur orientiertem ENGINEERING. Beides sind die wichtigsten Inhalte meiner Markenkonzepte. Ich nenne es FASZINEERING. Es ist eine besondere Art / Methode zu denken, in Gegensätzen bzw. deren Überwindung.
AUTOSTADT
Die Namensidee habe ich aus dem Markennamen Volkswagen abgeleitet. Bevor der "Käfer" von Prof. Ferdinand Porsche engineered wurde, konnte sich das Volk keinen Wagen leisten. Der Markenname Volkswagen ist also die Überwindung des damaligen Gegensatzes von Volk vs. Wagen. Die Stadt Wolfsburg wurde nur für dieses Auto erschaffen. Analog zu "Wagen fürs Volk = Volkswagen" habe ich "Stadt fürs Auto = Autostadt" abgeleitet.
VISION
Die Vision für die Autostadt war, eine nie endende Automobilausstellung (Never ending IAA) zu erschaffen, wo der Konzern mit am Automobil interessierten Menschen permanent in Kontakt kommt, sie in den MarkenPavillons erobern kann und durch die Auto-Auslieferung und Events langfristig bindet. Es sollte eine weltweit einzigartige "MarketingMaschine" entstehen, die aus Werbeausgaben eine nachhaltig wirksame Investition macht.
SPIRIT & WERTE
Als Spirit für die Marke Autostadt hatte ich formuliert: "Gegensätze überwinden, faszinierend Neues erschaffen". Er entspricht dem der Marke Volkswagen, der Keimzelle des Konzerns. Der Käfer, Golf, GTI, TDI, TSI, VR6, DSG oder auch die 4-Tage-Woche sind beispielsweise aus diesem Spirit entstanden.
Als fokussierte Gegensatzpaare (Werte) für die Marke Autostadt hatte ich formuliert: "Faszination vs. Information" und "Aktivität vs. Entspannung".
Wenn ich den damaligen Auftrag von Prof. Piech richtig verstanden habe, ging es ihm um den Bau eines Auslieferungszentrums für die Marke Volkswagen, die Erweiterung um die von dir vorgeschlagenen MarkenPavillons zur Darstellung der Mehrmarken-Strategie des Konzerns und die Integration der Gleichteile- / Plattform-Strategie. Warum war es dann notwendig die Marke Autostadt zu entwickeln ?